Sie schreiben gerne fantastische Bücher. Was fasziniert Sie am fantastischen Genre?
Die unbegrenzten Möglichkeiten natürlich. Und dass man die Wirklichkeit in Verkleidung manchmal weit eindrucksvoller beschreiben kann.
Haben Sie als Leserin früher schon mal die Fantasie gehabt, in ein Buch zu geraten? In welches Buch würden Sie gerne geraten?
Irgendwie gerät man ja immer in sie hinein, oder? Aber wenn ich eins aussuchen sollte, würde ich mich wohl wahrscheinlich für „Der König auf Camelot“ entscheiden – mit Rückfahrkarte und natürlich nicht ohne meine Kinder.
Wie sind Sie in die Tintenwelt geraten?
Durch meine Bücherleidenschaft. Ich wollte schon immer mal Figuren aus Büchern kommen lassen, denn als leidenschaftlicher Leser kennt man ja das Gefühl, dass sie einem manchmal echter vorkommen als wirkliche Menschen (was natürlich daran liegt, dass man ihnen ins Herz schauen darf). Außerdem hatte ich immer die erste Szene im Kopf – wie Meggie nachts aus dem Fenster schaut und jemanden im Regen stehen sieht. Da musste ich natürlich herausfinden, welche Geschichte dahinter steckt. Und dann hab ich Feuerspucker auf einem mittelalterlichen Markt gesehen, über Bücher und Bücherverrückte recherchiert usw. usw. usw. – das Buch kam aus vielen Samen.
Wer ist Ihr liebster Charakter in der Tintenwelt?
Kann ich nicht sagen. Bei den meisten meiner Bücher ist diese Antwort einfach, aber bei den Tintenweltbüchern liebe ich sie wirklich alle, die Bösewichter ausgenommen.
Hatten Sie reale Vorbilder vor Augen, als Sie die Figuren entwickelt haben? Verraten Sie uns, welche Einflüsse dabei eine Rolle gespielt haben?
Für Mo habe ich von einem Schauspieler gestohlen, wie man ja inzwischen aus der Widmung in „Tintenblut“ weiß. Das hat sehr geholfen – ich brauchte eine Stimme im Ohr für die Zauberzunge. Fenoglio ist natürlich mein Alter Ego, wobei ich hoffe, dass meine schlechten Charakterzüge nicht ganz so ausgeprägt sind. Es steckt auch einiges von mir in Elinor, aber für sie hatte ich als Vorbild eine reale Büchersammlerin, die sich auf Kinderbücher spezialisiert hatte. Ansonsten ist vieles an Meggie im zweiten Teil von meiner Tochter inspiriert und einiges an Farid ist sicherlich die ältere Variante meines Sohnes. Was andere Einflüsse betrifft – da passiert zum Glück vieles unbewusst, und ich will besser gar nicht allzu genau hinsehen, woher das alles kommt.
In der Tintenwelt-Trilogie werden viele Themen angesprochen: Was ist für Sie das Hauptthema? Welches Thema hat Sie besonders gereizt?
In Tintenherz ist es die Liebe zwischen Vater und Tochter, und um die Liebe geht es wohl generell sehr viel. Aber das Erzählen an sich und unser Spiel mit der Vorstellung ist natürlich auch ein Hauptthema, das mir als Geschichtenerzählerin sehr, sehr, sehr viel Spaß gemacht hat.
Es taucht immer wieder die Frage auf, wer den Verlauf der Geschichte in der Tintenwelt bestimmt. Kennen Sie diese Zweifel als Schöpferin der Tintenwelt? Sind diese Bücher für Sie auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wem eine Geschichte gehört?
Ja, natürlich – eine sehr aufregende Frage für eine Geschichtenerzählerin. Deren Beantwortung mich dann mit dem Gedanken spielen lässt, ob unser Leben nicht vielleicht auch nur eine Geschichte ist. Und wiederum zu der Frage führt, wer denn deren Erzähler ist.
Sie haben schon öfter erzählt, dass Ihre eigenen Geschichten Sie überrascht haben, dass sich die Geschichte ohne Ihr Zutun verselbständigt hat. An welchen Punkten ging es Ihnen in der Tintenwelt so?
Ständig. Bei Band zwei passierte es gleich am Anfang. Da kam Orpheus die Straße herunter und war anders und sah anders aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Auch sonst hat die Geschichte mich oft mit Wendungen überrascht, die ich nicht vorausgeplant hatte – was natürlich der allergrößte Spaß beim Schreiben ist!
Es geht auch um das Thema Leben und Sterben. Während Sie den Band „Tintentod“ geschrieben haben, ist Ihr Mann an Krebs gestorben. Hat diese Erfahrung Ihren Blick auf die Geschichte des Buches verändert?
Seltsamerweise hatte ich alle Kapitel, in denen es um den Tod geht, schon geschrieben, bevor mein Mann krank wurde. Es kommt mir im Nachhinein fast so vor, als hätte ich mich durchs Schreiben schon auf etwas vorbereitet, was im Kommen war. Als ich das Buch dann überarbeitete, erwartete ich eigentlich, dass meine eigene Erfahrung nun vieles ändern würde, aber so war es nicht. Ich glaube, ich habe drei Sätze neu geschrieben.
In „Tintentod“ beschreiben Sie den Tod als „die große Wandlerin“. Warum ist der Tod bei Ihnen weiblich?“
Warum nicht? Die Frau bringt das Leben in die Welt, also gefällt mir die Vorstellung, dass sie es auch wieder nimmt, auf diese Art erscheint der Tod nicht als fremdes, feindliches Prinzip, sondern als notwendiger Teil des Lebens. In vielen älteren Religionen verkörpert die Frau den Kreislauf des Lebens, oft in Dreigestalt, als Mädchen, Mutter und alte Frau. Das ist in meine Figur des Todes eingeflossen.
Der erste Teil, „Tintenherz“, wird gerade verfilmt und kommt in 2008 in die Kinos. Sie arbeiten an der Verfilmung intensiv mit. Wie ist das für Sie als Autorin?
Spannend! Ich genieße diese Erfahrung wirklich sehr und habe im letzten Jahr unglaublich viel übers Filmemachen gelernt. Man muss eine Geschichte für die Leinwand auf ganz andere Weise erzählen. Und es ist schon wirklich ein ganz besonderes Erlebnis, an einem Filmset zu sein und die eigenen Figuren vorbeigehen zu sehen – oder mit ihnen Kaffee zu trinken.
Sie haben vom ersten Band an immer davon gesprochen, die Tintenwelt als Trilogie geplant zu haben. Können Sie sich jetzt, nach dem dritten Band, in dem es sehr viel Licht und Raum für Hoffnungen gibt, doch eventuell noch eine Fortsetzung vorstellen?
Nur, wenn meine Figuren mich eines Tages heimsuchen und das verlangen. Aber ich habe die Tintenwelt eigentlich verlassen.
Das Interview mit Cornelia Funke führte Frauke Wedler-Zinn (Dressler Verlag) im September 2007